Happy Birthday: 9 Jahre lang keinen Rausch mehr gehabt
14. Oktober 2012. Viele Menschen erinnern sich noch an diesen Tag, weil das der Tag war an dem Felix Baumgartner mit dem Fallschirm aus 40 Kilometer Höhe absprang. Mir ging der mediale Hype darum schon die Tage davor auf die Nerven und ich wollte das auf keinen Fall ansehen. Jetzt lag ich auf der Couch und kurierte den Kater vom Rausch vom Vortag aus.
Wieder mal war es zu spät geworden, zu viel, zu exzessiv. Wir waren auf der Jubiläumsfeier von einem geschätzten Tätowierer Kollegen in seinem Studio gewesen. Wenige Wochen zuvor war ich auf derTattoomess in Coburg ähnlich abgestürzt. Kurz davor auf der Tattooconvention in Kassel.
Alkoholisiert – die Grenze zwischen lustig und peinlich ist fließend…
Die Grenzen von lustig zu peinlich sind oftmals fließend. Meine – unter Alkoholeinfluß besonders gut hervorkommende – Wahrheitsliebe hatte uns schon die eine oder andere brenzlige Situation beschert. Etwas mehr als zwei Jahre zuvor waren wir bereits in Südafrika – alkoholisiert und somit leichte Beute – mit K.O.-Tropfen betäubt und ausgeraubt worden. Aber das ist eine andere Geschichte…
Während ich auf der Couch lag, wurde mir klar, dass ich mit einem einzigen Rausch die harte Arbeit von fünf Jahren Tempel mit einem Schlag kaputt machen könnte. Da hatte ich keine Lust darauf. Die Gedanken, die mir immer wieder an diesem Tage durch den Kopf schossen, waren stets die gleichen: Nie wieder.
„Nie wieder“ – meistens bis zum nächsten Rausch…
Den Gedanken „ich trinke nie wieder“ kennt fast jeder, der schon einmal mit einem Kater aufgewacht ist. Bei mir manifestierte er sich. Der Wunsch, nie mehr einen Kater zu erleben und nie mehr den vergangenen Abend rekonstruieren zu müssen, wurde stärker und stärker.
Keinen Alkohol mehr zu trinken, ist keine leichte Entscheidung. Insbesondere in den Kreisen in denen ich verkehre, sind Alkohol- und andere Exzesse und alles was dran hängt nichts ungewöhnliches. Ungewöhnlich ist es jedoch, keinen Alkohol zu trinken.
„Musst Du fahren, Du arme Sau“ oder „Bist Du krank“ sind noch die harmlosesten Sachen die man zu hören bekommt. Sich bis zur Besinnungslosigkeit zu betrinken, bis zum Verlust der Muttersprache oder bis man besoffen vom Stuhl fällt weil man am Tisch eingeschlafen ist, wird als normaler betrachtet als das, was ich seit neun Jahren praktiziere.
Positive Folgen ohne Alkohol
Positive Folgen: Die positiven Folgen sind, dass man sich einen Haufen Geld spart, nie mehr verkatert ist, immer und überall mit dem Auto fahren kann und sich nie mehr überlegen muss, ob man sich daneben benommen hat. Dass es dem Körper weder was das Volumen des Bauches, noch der Leistungsfähigkeit angeht nicht schadet, versteht sich von selbst.
Negative Folgen ohne Alkohol
Negative Folgen: Alkohol macht nicht nur betrunken, sondern ist ja auch ein schöner Geschmacksträger. Guten alkoholfreien Wein oder Whiskey gibt es halt nicht. Erschwerend hinzu kommt: Es wird auf fast jeder Party ab einer gewissen Uhrzeit um einen einsam. Ich kann mit angetrunkenen Menschen und den oftmals peinlichen, sich ständig wiederholenden Gesprächen nichts anfangen.
Gleichwohl können auch die Menschen, mit denen man sich Stunden zuvor noch prächtig unterhalten konnte mit dem oder den wenigen Nüchternen nichts mehr anfangen. Ausreden gibt es nicht mehr. Harmlose Flirtereien – die Ausrede „tschuldige Spatzl, ich hatte ja drei Maß“ zählt nicht mehr – sind auf einmal ein Kapitalverbrechen.
Man lernt weniger neue Leute kennen, auf Festivals, Tattooconventions oder Auswärtsfahrten ist man fremden Menschen plötzlich Suspekt.
Wer möchte auch jemanden am Tisch sitzen haben, der sich am nächsten Tag noch an jedes noch so peinliche Detail haargenau erinnern kann? Eben.
Bedenklich: das würde ich nüchtern gar nicht aushalten
Das einzige was ich wirklich regelmäßig bedenklich finde, ist folgender Satz: Das würde ich nüchtern hier gar nicht aushalten. Wenn Deine Umgebung so grausam ist, dass Du sie nüchtern nicht ertragen oder dort Spaß haben kannst, dann läuft meiner Meinung nach grundsätzlich etwas verkehrt. Aber auch das muss jeder für sich selber entscheiden.
Fazit: Jeder muss selber wissen, was für ihn gut ist
Ob einem damit etwas fehlt, muss letztlich jeder selber für sich entscheiden. Die Vorteile überwiegen für mich die Nachteile. Lustige Party-Erlebnisse und Exzesse hab ich in meinem Leben aber auch wirklich genug gehabt. Zudem bin ich nüchtern vermutlich immer noch weniger verklemmt als die meisten „normalen Menschen“ nach zwei Maß.
Für mich war kein Alkohol definitiv die richtige Entscheidung, eine der wichtigsten und besten in meinem Leben. Dementsprechend habe ich Julia vor einigen Monaten meinen Handrücken für ein Tattoo zu diesem Thema gegeben. Das Datum in Form eines Einreisestempels steht für den Tag, an dem ich den Entschluss gefasst habe.
Das Tattoo ist bewusst so gehalten, dass eines Tages wieder Platz für einen „Ausreisestempel“ ist. Wenn ich irgendwann beschließe, dass ich ab jetzt wieder hin- und wieder einen guten Wein oder Whisky genießen möchte, dann wird auch dieser Tag dort festgehalten.
Fehlt mir unter´m Strich was? Nein, sonst würde ich das nicht so machen. Die Vorteile überwiegen die Nachteile, in meinem Fall sehr deutlich.