Deutschland – Holland am 06.09.2019 in Hamburg, 2:4
Heute aus der Kategorie „Spiele, die ich ohne meine Bahncard100 sicherlich nicht besucht hätte“ – das EM-Qualifikationsspiel Deutschland – Holland in Hamburg. Wobei: das Spiel ist ein Klassiker, für mich bereits zum dritten mal: 2002 in der Arena auf Schalke, 2004 bei der Europameisterschaft in Portugal – noch nie kam ein Deutscher Sieg dabei heraus, aber vielleicht ja dieses mal – aller guten Dinge sind schließlich drei.
Hamburg ist fast immer eine Reise Wert – seit über 25 Jahren bin ich im Schnitt mindestens einmal im Jahr in der Hafenstadt – also Freitag morgen rein in den ICE und ohne Pannen und nennenswerte Verspätung war ich sechs Stunden später am Hauptbahnhof.
„Wer nicht bucht zur rechten Zeit – der muss nehmen was übrig bleibt“ und Hamburg war zum Länderspiel so gut wie ausgebucht – in meinem Fall blieb für die erwarteten sechs Stunden Nachtruhe nur ein kleines Zimmer in St. Georg übrig.
Der einzige Vorteil von St. Georg ist schnell erklärt: Der Stadtteil liegt direkt am Hauptbahnhof, sehr gut für An- und Abreise. Der Nachteil von St. Georg ist auch schnell erklärt: Der Stadtteil war noch nie besonders schön, zumindest nicht in den letzten 25 Jahren. Wie er jetzt aussieht, das sprengt für uns Münchner so ziemlich jegliche Vorstellungskraft: Fast gegenüber vom Hauptbahnhof ist eine Spielbank, vor der ein gutes halbes Dutzend Obdachloser ihr Lager aufgeschlagen haben.
Von dort sind es ca. weitere 500 Meter bis zum Hotel und auf denen bin ich an unzähligen Prostituierten, Junkies, den dazugehörigen Dealern und weiteren suspekten Gestalten vorbeigelaufen – wohlgemerkt, Freitag Nachmittag um 15 Uhr.
Der Blog hier heißt ja „Bunte Ansichten“, aber wenn das die bunte Zukunft ist die unser Land hat, dann bin ich zukünftig gerne der bunte Exot der irgendwo im asiatischen Raum seinen Lebensabend verbringt.
Überhaupt, dieses Hamburg: erklären mir die Hamburger ja gerne, dass ihnen Bayern im allgemeinen und München im besonderen viel zu spießig wäre. Ich verstehe nicht so ganz, was sie eigentlich meinen: ok, man kann bei uns U- oder S-Bahn fahren ohne unzählige male angebettelt oder von Straßenmusikern unterhalten zu werden und bei uns wohnen die Leute überwiegend in Häusern anstatt auf der Straße – und vor allem: ich darf im spießigen, kleinbürgerlichen München vor jeder Kneipe mit einem Glas stehen oder mit einer Bierflasche von A nach B gehen. Im super-toleranten Hamburg ist das im gesamten Bereich Reeperbahn seit 2009 verboten, weil Behältnisse aus Glas viel zu oft als Waffe benutzt werden.
Hamburg – das war für mich auch immer die Hafenstraße und der Kampf dort um die besetzten Häuser – ein Kampf, der überwiegend verloren wurde – und ich besuche die Gegend um die Hafenstraße seit Anfang der 90er Jahre als ich noch ein kleiner Punk war immer wieder gerne, alleine schon um die Entwicklung zu beobachten.
Gestern hatte ich jedoch das erste mal ein wirklich mulmiges Gefühl, als auf einmal ein knappes Dutzend Schwarzafrikaner um mich rum stand – aber sie wollten mir nichts böses, sondern haben immer nur gefragt wie es mir ginge und ob ich was brauchen würde. Das zog sich so bis zur Reeperbahn und wem diese Schilderungen zu drastisch erscheinen, der kann sie gerne auf Wikipedia nachlesen:
Am Hauptbahnhof und in der Hafenstraße eine offene Drogenszene, ein paar Hundert Meter weiter jedoch eine massive Polizeipräsenz: Yep, wenn das übel dieser Welt – Fußball und die damit verbundenen Anhänger – angesagt ist, dann funktioniert das mit der Polizeiarbeit in Deutschland: da kann man dann z.B. auf einmal wieder Grenzübergange errichten: Drogenhandel, Leute ohne Pass, Diebesbanden, Kriminelle, Mafia – da vertrauen wir auf die Schleierfahndung. Aber wehe, wenn es um Fußball geht: dann kann man wieder tausende Autos und Passagiere kontrollieren, um die letzten übrigen Hooligans zu erwischen: Nicht, dass dieses Land und sein Ansehen noch Schaden in der Welt erleiden.
Hab ich von den letzten verbliebenen Hooligans geschrieben? Die findet man in Hamburg traditionell beim Sportpub Tankstelle, genau gegenüber der berühmten Herbertstraße – dort standen prompt ein paar Dutzend herum, eher mein Alter und Aufwärts, streng bewacht von der Polizei. Ich verkniff es mir, die Cops zu fragen ob sie nicht lieber mal runter zur Hafenstraße schauen wollen und schaute kurz bei Herrmann bzw. dem Osbourne eine Straße weiter vorbei: Wer die Kneipe und Herrmann nicht kennt, der hat definitiv was verpasst: Unzählige Stunden haben Fußballfans aus aller Welt bei ihm bzw. in seiner Kneipe in der etliche Fußballschals aus aller Welt hängen verbracht – und Herrmann selbst ist ein absolutes Hamburger Original, aber eines von der sympathischen Sorte:
Der schaut immer noch aus wie vor 25 Jahren, qualmt immer noch hinter´m Tresen und es wird definitiv etwas in Hamburg fehlen, wenn es diese Kneipe eines Tages nicht mehr geben wird.
Nun war es an der Zeit für den eigentlichen Grund der Reise: Deutschland – Holland und so ging es via S-Bahn von der Reeperbahn aus nach Stellingen und von dort nicht mit dem Shuttle-Bus sondern traditionell zu Fuß zum Stadion. Wollten uns früher regelmäßig irgendwelche Hools oder Ultras auf diesem Weg ans Leder, so war jetzt doch überwiegend die Kategorie „Opernpublikum“ auf dem Weg zum Stadion, welches inzwischen wieder traditionell „Volksparkstadion“ heißt. Ob das schlechter ist, lass ich jetzt einfach mal offen.
Meine Powered-by-Zuckerbrause-Fan-Club-Nationalmannschafts-Karte befand sich auf Höhe der Eckfahne und die Leute, die da um einen rumsitzen, sind mit einem Wort schnell beschrieben: furchtbar.
Die WM 2006 war das schlechteste, was dem deutschen Fußball jemals passieren konnte: Nicht nur dass wir Löwen dadurch die tolle Möglichkeit der Allianzarena bekommen haben, sondern der damalige Hype hat uns Leute in die Stadien gebracht, die die Ticketpreise in die Höhe und die Stimmung in den Keller getrieben haben. Mein persönliches Highlight diesbezüglich ist ja das rhythmische Klatschen bei einer deutschen Chance, wie man es ansonsten eigentlich nur von einer Leichtathletik-Veranstaltung kennt.
Zu Beginn sollte es vom Zuckerbrause-Fanclub eine Choreo geben – doch scheinbar verklebt zuviel Zuckerbrause das Gehirn: Wie man auf die Idee kommt, ausgerechnet gegen die Niederländer eine Choreo zu veranstalten, die aus dem großen Wort „VOLLGAS“ besteht, ist mir schleierhaft. Ich bin sicherlich nicht übertrieben Political Correct – siehe den ersten Teil dieses Berichtes – aber ob man genau gegen Holland das Wort „GAS“ über ´ne ganze Tribüne schreiben muss, wage ich dann doch stark zu bezweifeln.
Doch Twitter und anderen sozialen Netzwerken sei Dank verbreitete sich das Vorhaben sehr schnell und erntete – berechtigte – Kritik und so wurde spontan aus dem Wort „VOLLGAS“ das Wort „VOLLEY!“ im gesamten Oberrang – dazu ein Schriftband „Von Hamburg über München bis nach London“ und ein paar schwarz-rot-goldene Pappen im Unterrang. Gerade noch gerettet, zumindest optisch auf den Rängen.
Akustisch war es nah an einer Katastrophe und ich hatte um mich rum ein paar Holländer (!), Anja-Tanjas & Ingos vom feinsten die mir mit ihrem Fußballsachverstand und dem oben erwähnten rhythmischen Klatschen gehörig auf die Nerven gingen.
In der Halbzeit hatte ich genug davon und wechselte in den Oberrang auf Höhe der Mittellinie: nicht dass die Leute dort besser gewesen wären – im Gegenteil – aber von dort aus war die Sicht auf das Elend besser und die gut 5000 Holländer rechts von mir machten wenigstens Stimmung – mit zunehmendem Spielverlauf natürlich immer mehr.
Das Spiel war der negative Höhepunkt etlicher negativer Eindrücke in Hamburg und ich war froh, als ich wieder unbeschadet im Hotelzimmer angekommen war. Noch etwas Augenpflege betrieben und wenige Stunden später war ich dann schon wieder im ICE nach München. Morgens um sieben stehen tatsächlich nur halb so viele Junkies und Prostituierte auf der Straße um den Hauptbahnhof wie Nachmittags um drei. Hab ich erwähnt, dass St. Georg ein furchtbarer Ort ist?
Logischer als die Heimfahrt nach München wäre eigentlich die Weiterfahrt zum Länderspiel nach Nordirland am Montag gewesen, aber man kann ja nicht alles haben und wenn eine Messe im bayerischen Raum ansteht wie dieses Wochenende die in Eggenfelden, dann sollte ich halt dort sein.
In meinem Teil vom Zug funktionierte weder das Bordbistro, noch funktionierte in meinem Waggon die Stromversorgung – so musste ich mich mit dem Schreiben dieses Berichtes etwas beeilen, zum Glück hatte ich über Nacht alle elektrischen Geräte ausreichend gefüllt, sonst wäre es eng geworden.
Das Fazit für die Deutsche Bahn AG nach drei Monaten BahnCard 100 wird nach dem bisherigen Verlauf eher negativ ausfallen.