„Oma ist ne alte Umweltsau“
Das war der Aufmacher in vielen Zeitungen und in unzähligen Postings in den sozialen Netzwerken: „Oma ist eine alte Umweltsau„.
Rumms, das saß: ich stolperte – natürlich – bei Facebook drüber und mein Spontaner Gedanke war „jetzt spinnen die beim WDR ganz“. Der Blutdruck ging nach oben, die Halsschlagader fing das pumpen an. Oma ist ja erst vor wenigen Jahren verstorben und war sicherlich alles, aber keine Sau.
So wie mir ging es wohl ähnlich und dementsprechend ging es in den sozialen Netzwerken, aber auch in den Kommentarspalten der Zeitungen und vor allem beim WDR ab.
Doch bevor ich denen einen bitterbösen Brandbrief schreibe, wollte ich mir das Lied (man kennt „Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad“ ja noch aus Kindheitstagen) dann doch erst einmal ganz anhören – und kam somit nach dreimaligem durchatmen zu einem ganz anderen Ergebnis:
Also, ich oute mich dann mal: obwohl mir meine Familie heilig ist, fühl ich weder mich noch meine Familie bei dem „Hühnerstall-Lied“ beleidigt:
Meine Oma war definitiv keine Umweltsau: sie ist weder im Hühnerstall Motorrad gefahren und hat dabei 1000 Liter Super verbraucht, noch ist sie mit dem SUV zum Arzt und hat dabei zwei Opis im Rollator überfahren. Sie hat auch nicht jeden Tag Kotelett vom Discounter rausgebraten oder das Motorrad im Altersheim als Rollstuhl benutzt.
Hab ich was aus dem Text vergessen? Gibt es irgendwo eine (deutschsprachige) Oma, auf die irgendwas von dem Lied zutrifft? Geschweige denn mehreres?
Ich denke nicht.
Meine Oma war eine wunderbare, humorvolle Frau. Sie hätte sich von dem Hühnerstall-Lied vom WDR ebensowenig angesprochen gefühlt wie von der alten Version, in der sie u. a. ne Glatze mit Geländer hat oder im Suppenteller schwimmen lernt. Zum Glück gab es damals noch kein Facebook…
Der Vogel vom WDR – Danny Hollek – der aus jeder Oma pauschal ne „Nazisau“ macht steht auf einem ganz anderen Papier…
Beängstigend mal wieder, wieviel Hass das produziert, natürlich neben dem üblichen polemischen Blödsinn: meine Generation (ü40) und älter hat nur im Verzicht gelebt, die Generation Greta lässt sich im SUV zur Schule fahren und bestellt über das Smartphone tonnenweise Plastikschrott… Bla bla blubb…
Ich frag mich immer nur, wer die Generation Greta erzogen hat, den SUV steuert und den Planeten Erde insbesondere in den letzten Jahrzehnten zu dem gemacht hat, was er heute ist :
Meere leergefischt und zugemüllt, unzählige Kriege mit Millionen Toten, Tiere und ganze Völkergruppen ausgerottet, die Atombombe gezündet, Regenwald gerodet… Die Liste ist lang. Sehr lang.
Die Generation Greta kann davon für ganz wenige Dinge etwas – und falls doch: die Generation davor hat sie zu dem gemacht was sie heute ist.
Das wäre dann wohl meine Generation, vor der ich manchmal richtig Angst habe:
Die gleichen Leute, die seinerzeit das „Böhmermann-Gedicht“ gegen Erdogan als „Satire“ und „Meinungsfreiheit“ verteidigt haben, laufen jetzt Sturm, weil eine fiktive – im Hühnerstall Motorrad fahrende – Oma eine Umweltsau ist.
Das lässt tief blicken.
Dass meine Freundesliste bei Facebook nach genau diesen Zeilen wieder ein paar Leute kleiner geworden ist, kann ich im übrigen gut verschmerzen.
Stephan Tempel