„Boah, was bin ich ´ne Pussy geworden“ hab ich mir gestern wieder gedacht, während ich mich auf der TAD**-Liege unter Julias Nadel gewunden habe wie ein Zitteraal mit epileptischen Anfällen. Hat dieser Scheißdreck eigentlich schon immer so weh getan? Ich glaube nicht, ich bin mir sogar ziemlich sicher dass nicht, denn ansonsten wäre es wohl bei einem Tattoo geblieben.
Ich weiß es noch wie gestern, war ja auch erst 1995: Beim Volker vom legendären Scorpions-Tattoo, während der Arafat noch im Nebenraum gepierct hat. Ne Stunde beim Volker schlug damals mit mindestens 250,- Mark zu buche, Tussies die nur was kleines wollten haben auch mal eben 300,- Mark für ein kleines Einhorn auf´m Arsch gezahlt – hat ja auch 25 Minuten gedauert. Der Stencil – vermutlich schon zigmal benutzt und fachgerecht mit dem Deoroller aufgebracht – war ja schon fertig in der Schublade und verschwand nach dem aufbringen wieder in der ebensolchen – bis zur nächsten Tussie.
Preisdiskussionen wie 2017 im Tempel? Ha ha… wer diskutiert schon mit einem Bodybuilder mit Zuhälter-Bart, Brilli im Ohr, Pitbull-Aufkleber und sichtbarer Axt hinter´m Tresen? Niemand… und wenn es mal „doofe Fragen“ gab, grunzte er zu den Mädels „geh lieber rüber zum Arafat und lass Dir ein paar Löcher machen“. Ja ja, die gute alte Zeit in der alles besser war…
Aber zurück zu den Schmerzen: die waren damals einfach nicht so stark: ich erinnere mich noch an eine drei-stündige Sitzung am Bein, die von 12 – 15 Uhr geplant war. Logisch, dass ich – frisch am Bein eingepackt – am Nachmittag noch den Oberkörper im Studio trainiert hab. Der wurde ja nicht gestochen. Wenn heute jemand drei Stunden mein Bein sticht, dann bin ich froh wenn ich fehlerfrei zum Auto, mit diesem nach Hause und auf die Couch komme.
Liegt´s am Alter? Am Schmerzgedächtnis? Oder fehlt das Adrenalin, die Vorfreude? Ich hab zwar letztens überschlagen, dass die Stechzeit an meinem Körper ganz stark in Richtung 300 Stunden geht, aber keine Ahnung wie viele Sitzungen das waren. Die Nervosität ist natürlich nicht mehr so stark wie vor Sitzung eins oder Sitzung zwei… und was noch tragischer ist: Die Vorfreude ist weg.
Früher war ein Tattoo und ein Tattootermin was besonderes – nicht nur für mich, sondern für alle in meinem Umfeld. Selbst in der Kurve im Stadion war´s ein Gesprächsthema wenn wieder einer beim stechen war – wenn Du heute in ein Stadion gehst, haben im Ultra-Block vermutlich 10-20% gerade irgendwo Folie oder Suprasorb an frisch perforierten Hautstellen hängen – und Fotos von meinen neuen Tattoos interessiert nicht mal mehr meine Familie. Irgendwie bin ich ja für alle schon voll, während mich selber die vorhandenen Lücken tierisch nerven.
Das Bild von meinem Tattoo hier im Artikel – das eine ist zwei Wochen alt, das andere von gestern – zeigt was ich meine: zwischen den beiden Bildern liegt locker eine Stunde schmerzen – aber sieht wer den Unterschied außer mir oder der perfektionistischen Julia? Eben. Natürlich haben wir gestern noch deutlich mehr tätowiert, das nur am Rande. Bilder folgen.
Ja, ich gestehe: die Vorfreude ist weg, ich habe nur noch ein Ziel: fertig werden. Ich bin gerne tätowiert, ich bin sehr gerne sehr stark tätowiert – aber dem Schmerz beim tätowieren habe ich noch nie was abgewinnen können. Ich bin einfach nur froh, wenn das Gesamtkunstwerk Stephan Tempel endlich fertig ist – und der Schmerz wird mir ganz, ganz sicher nicht fehlen.Noch rund 30 Stunden würde ich mal vorsichtig tippen, dann ist schicht im Schacht.
Heute steht auch wieder so eine Sitzung an, die kaum einer bemerken wird: Lücken am Arm zumachen. Na, wenigstens nur am Arm… da freu ich mich ja fast schon wieder drauf.
Stephan Tempel
PS: Dem aufmerksamen Leser ist sicherlich aufgefallen, dass ich mit gestern und heute eine Doppelsitzung habe: wenn mich etwas noch mehr nervt als die Schmerzen beim Tätowieren, dann ist es die Abheilphase mit den damit verbundenen Einschränkungen bei Sport, Sauna etc… darum Doppelsitzungen.