Sponsoring in der Tattoobranche…

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…oder auch „wie man sich deutlich unter Wert verkauft und dabei auch noch geil vorkommt“…

Vorab: Ich weiß, dass es einige Tätowierer gibt, die das anders sehen – auch bei mir im Studio – und fast noch wichtiger: Ich meine nicht die wirklichen Schwergewichte in der Szene, die wirklich gute Sponsoring-Verträge haben. Ich bin auch nicht neidisch – es betrifft mich ohnehin nicht direkt und Neid ist mir von Haus aus Wesensfremd.

Warum dann dieser Beitrag? 

Weil es mich seit Jahren aufregt, wie sich große Konzerne fast zum Nulltarif dicke Werbepräsenz sichern und sich die Tätowierer dabei auch noch wie Superstars vorkommen – wobei es meiner Meinung nach keinen Grund dafür gibt:

Mindestens 90% derer, die auf Messen ihre Stände mit Werbebannern zuhängen (oder gleich am Stand vom Sponsor arbeiten, wo man vom Tätowierer wenig bis gar nichts mehr sieht) oder ihre Facebook- und Instagram-Postings mit „Sponsored-by-Hashtags“ vollmüllen verkaufen sich meiner Meinung nach dermaßen unter Wert, dass es eine Schande ist, dafür dass Wort „Sponsoring“ überhaupt in den Mund zu nehmen – und ich denke, dass ich das auch ganz gut begründen kann:

Was bekommt der Tätowierer vom Sponsor?

Noch einmal, ich rede hier nicht von den Schwergewichten – die haben im Regelfalle gute Verträge, die sie sich auch verdient haben.

Aber die anderen? Die bekommen z.B.

– zwei Maschinen und ein paar Päckchen Nadeln im Jahr

oder

– die Tattoo-Aftercare, für die sie Werbung machen

oder

– einen Jahresvorrat Tattoo-Nadeln, von den Nadeln für die sie werben

oder

– sie dürfen die Farben für die sie Werbung machen 50% günstiger einkaufen

oder
– sie bekommen bei dem Supplier der sie „sponsort“ 10% Rabatt wenn sie einkaufen

Die letzten zwei Punkte lesen sich ja fast wie Realsatire, sind es aber nicht – ich kenne wirklich Tätowierer die zu diesen Bedingungen arbeiten bzw. das als „Sponsoring“ bezeichnen. Wenn es ganz gut läuft, dann bekommen die Tätowierer einen Stand auf der Tattooconvention gezahlt – wobei wir meistens von dem Stand reden und nicht von der Anreise oder dem Hotel.

Ist das etwa kein guter Deal? 

Das kommt auf die Betrachtungsweise an: wenn heute ein Tattoomaschinenhersteller eine halbseitige Anzeige im Tätowiermagazin schaltet, dann kostet ihn diese rund 1100,- Euro. Das Heft hatte (Stand 2012) im Schnitt monatlich 23.000 verkaufte Exemplare..

Eine einmalige Werbung bringt ohnehin kaum einen nutzen, aber lassen wir die halbe Seite für 1100,- Euro trotzdem mal stehen: Das entspricht ungefähr dem Verkaufspreis von zwei Maschinen und ein paar Päckchen Nadeln.

Dafür bekommt der Maschinenhersteller einen Tätowierer der auf Facebook & Instagram locker die Reichweite hat, die das Tätowiermagazin gedruckte Auflage hat – viele auch deutlich höher.

Der Tätowierer zeigt als erstes stolz ein Foto von der neuen Ausrüstung und dass er ab jetzt von xyz gesponsort wird. Zudem schreibt er unter jedes Bild, mit welcher Maschine und welchen Nadeln er gearbeitet hat oder setzt gleich stolz das Logo drauf, er ist ja schließlich gesponsort – und das mindestens ein ganzes Jahr lang. Geht man jetzt davon aus, dass der Tätowierer nur jeden zweiten Tag ein Bild postet, dann wird er rund 180 mal im Jahr seine zigtausend Follower darauf hinweisen, mit was er da gerade arbeitet – und unter den Followern sind natürlich auch viele Tätowierer, die genau aus diesem Grund sich diese Maschine, Nadeln, Farben oder was auch immer kaufen. Millionenumsätze für die einen – ein paar Krümel für die anderen – und zwar die, die eigentlich die größere Arbeit damit haben.

Was kostet das den Sponsor?

Wenig bis gar nichts: Wenn man davon ausgeht, dass sich der Tätowierer ohnehin seine Sachen gekauft hätte – evtl. noch über den Umweg von einem Supplier – dann reden wir von nicht einmal tausend Euro Umsatz.

Eventuell dazu noch ein paar hundert Euro für Messestände….

Was spart sich der Tätowierer?

Rund tausend Euro, die er allerdings als Betriebsausgaben voll absetzen könnte – und vielleicht noch das Geld für den Messestand auf einer Tattooconvention.

Was gibt der Tätowierer dafür?

Erst einmal oberflächlich betrachtet relativ wenig: er setzt ein paar Hashtags und hängt auf der Messe ein paar Banner auf. Eigentlich doch ein guter Deal, könnte man meinen…

Gerade bei den Tattooconventions sehe ich das aber durchaus komplett anders: Ein Messestand kostet je Tätowierer ca. 400,- Euro – das ist bei Messen aber oftmals nur ein Bruchteil der anfallenden Kosten: Der Tätowierer muss anreisen, was je nach Entfernung 200,- Euro innerhalb Deutschlands, aber auch ein paar hundert Euro für weiter entfernte Geschichten bedeuten kann – wir haben ja sogar schon auf Messen in Neuseeland gearbeitet. Dazu noch das Hotel und die Tage für An- und Abreise, an denen der Tätowierer nicht arbeiten kann und einen Verdienstausfall hat.

Jetzt ist der Messestand wirklich der kleinste Ausgabenposten auf so einer Tattooconvention – und viele „Sponsoren“ zahlen ja nicht einmal den. Trotzdem hängen die „gesponsorten“ Tätowierer stolz die Plakate ihrer Sponsoren auf – somit ist kein Platz mehr für die Bilder vom Tätowierer – und eigentlich ist er doch genau aus diesem Grund auf eine Messe gefahren: Er will sich und seine Arbeit bekannt machen.

Bei den Reihen mancher Hersteller nehmen die Werbebanner mehr als 50% der Fläche ein – Platz, bei dem der Tätowierer sich bzw. seine Arbeit nicht präsentieren kann. Jetzt ist der Tätowierer einen ganzen Tag im Auto gesessen, hat ein teures Hotel, braucht wieder einen Tag für die Rückreise… und für einen Bruchteil der Kosten verkauft er 50% seiner Werbefläche. Ein guter Deal? Ich denke nicht.

Wir befinden uns im Jahr 2017: wenn heute ein Instagram-Sternchen mit 100k Followers in einem Posting einen Sport-BH von einem Hersteller präsentiert, dann bekommt sie dafür ca. 1000,- Euro – je Posting – und da ist der Erfolg für den werbenden eher fraglich. Tätowierer mit der gleichen Anzahl Follower machen ein ganzes Jahr lang täglich Werbung für den gleichen Betrag – aber sie bekommen ihn nur einmal – und über den Erfolg muss man nicht diskutieren: warum hab ich die erste Cheyenne-Maschine gekauft? Richtig – weil Boris für sie geworben hat und aus vielen Gesprächen weiß ich, dass es anderen genau so ging. Wenn heute ein Star-Tätowierer mit einer bestimmten Farbe tätowiert, dann kaufen sich tausende andere aus genau diesem Grund die Farbe.

Kurz & knapp: ein Tätowierer, der für ein paar Maschinen oder Farben arbeitet – das ist ungefähr so, als würde Nike dem Ronaldo zwei paar Fußballschuhe im Jahr gratis geben – der bekommt aber doch etwas mehr als ein paar Fußballschuhe – und dazu noch rund 24 Millionen. Jährlich.

Stephan Tempel

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